Windkraft-Verhinderer jammern über Energieknappheit  


Die hohen Energiepreise werden jetzt von Leuten beklagt, die den Aufbau sauberer und preiswerter Energiekapazitäten seit Jahren bekämpfen. Ihr Ziel: Mehr Atomkraft.

Die erwartbare Kampagne zur Rettung der Atomenergie läuft in Deutschland jetzt auf vollen Touren. Die CDU-Politiker, die sich während des Wahlkampfs vorsichtig in diese Richtung tasteten, sind auf die wohlverdienten Oppositionsbänke verweisen worden. Dafür laufen sich jetzt die Medien heiß.

Am 13. Oktober 2021 veröffentlichte die „Welt“ einen offenen Brief von 25 überwiegend internationalen Wissenschaftler*innen. Darin wird unter der Überschrift „Liebes Deutschland, bitte lass die Kernkraftwerke am Netz“ die Forderung erhoben, die 2021 und 2022 bevorstehende Abschaltung der verbliebenen sechs deutschen Atomkraftwerke aus Klimaschutzgründen zu verschieben.[1] Aus der eklatanten Verfehlung der Klimaschutzziele wird gefolgert, dass die „kohlenstoffarme“ Energieerzeugung aus Atomkraft die Lücke schließen müsse. Angesichts der großen Potenziale für Erneuerbare Energien in Deutschland, und angesichts der Havariegefahr der Atomanlagen und des immer noch nicht einmal ansatzweise gelösten Atommüll-Problems muss dies als verantwortungslos bezeichnet werden. Die Ausblendung dieser Aspekte – Erneuerbaren-Potenziale und Atomgefahren – das ist der „Elefant im Raum“, nicht das angebliche Klimalösungs-Potenzial der Atomkraft, wie die Unterzeichner*innen schreiben.

Am 19. Oktober dann verbreitete sich eine dpa-Meldung: „Bürgerinitiativen fordern Verlängerung der Atomkraft in Deutschland“.[2] Mit Verweis auf die z.Z. hohen Energiepreise lassen sich zwei Initiativen mit ihrer Forderung nach einem „Kernkraft-Moratorium“ zitieren.

Es ist ein Zeichen des Verfalls journalistischer Sorgfalt, wenn dpa die Akteure dieser Initiative als „Bürgerinitiativen“ adelt. Denn bei den zwei Akteuren handelt es sich um die sattsam bekannten Anti-Windkraft-Lobbyisten und Klimawandel-Leugner von „Vernunftkraft“[3], sowie einen bis dato wenig bekannten Verein namens „EnergieVernunft“, der in „Mitteldeutschland“ gegen den Kohleausstieg arbeitet.[4] In der dpa-Meldung lässt sich der SPD-Politiker und berüchtigte Klimawandel-Leugner[5] Fritz Vahrenholt zitieren: „Explodierende Energiepreise und Versorgungsengpässe sind vor allem ein Zeichen des Mangels und vor diesem Hintergrund ist die Stilllegung der letzten sechs Kernkraftwerke in den nächsten 14 Monaten unverantwortlich.“ Die Verknüpfungen zwischen Vahrenholt, dem Kohle- und Atom-Konzern RWE und der Schein-Bürgerinitiative „Vernunftkraft“ sind schnell zu recherchieren. Daher ist diese dpa-Meldung ein echtes Armutszeugnis des deutschen Nachrichtenagenturwesens.

Aber was lernen wir aus dieser Konstellation? Erstens: Die Verknappung der Energie im Stromsektor, zu der der Atomausstieg sicherlich beiträgt, wird hier von einer Gruppe („Vernunftkraft“) beklagt, deren einziger Daseinszweck die Verhinderung des Ausbaus Erneuerbarer Energien ist. Die also für diese Verknappung direkt mitverantwortlich ist. Dies ist ein Indiz dafür, welches das eigentliche Ziel dieser Organisation ist: die Verteidigung der gefährlichen und extrem umweltschädlichen Energietechniken Kohle und Atom.

Zweitens: Die mitteldeutsche Initiative leitet aus ihrem Plädoyer für die Braunkohle sehr leichtfüßig ein ebensolches Plädoyer für die Atomenergie ab. Auch dies beweist, dass es bei diesen Vorstößen weder um die Arbeitsplätze von Braunkohle-Kumpeln geht, noch um Klimaschutz. Es ist die alte Frontstellung der energiewirtschaftlichen Großkonzerne mit ihren Kohle- und Atommeilern gegen die Energiewende und gegen ein dezentrales Energieversorgungssystem mit vielen Akteuren.

Die Verfasser*innen des „Offenen Briefs“, die Atomkraft als Klimaschutz-Energie unterstützen, sollten sich einmal mit diesen Zusammenhängen beschäftigen.[6] Klimaschutz mit den Klimakiller-Konzernen durchzusetzen, das erscheint als eine nicht besonders gut durchdachte Strategie.  
[1]              https://www.welt.de/debatte/kommentare/article234364140/Offener-Brief-Liebes-Deutschland-bitte-lass-die-Kernkraftwerke-am-Netz.html?cid=socialmedia.twitter.shared.web
[2]              Vgl z.B. https://www.finanzen.net/nachricht/aktien/buergerinitiativen-fordern-verlaengerung-der-atomkraft-in-deutschland-10639819 Verantwortlich zeichnet neben dpa auch AFX, der in London ansässige Finanz-Zweig der französischen Nachrichtenagentur AFP.
[3]              https://www.sfv.de/artikel/mit_vernunftkraft_gegen_saubere_energie
[4]              Vgl. https://www.youtube.com/watch?v=5k3OOLC7hHQ und https://www.energievernunft-mitteldeutschland.de/Ueber-uns/
[5]              Vgl. https://www.sfv.de/artikel/freiheit_der_maerkte_oder_zukunft_der_menschheit
[6]              Vgl. z.B. noch https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/atom-oder-kohle-weder-noch

Foto: Reaktorkatastrophe von Fukushima, 2011. CC BY-SA 3.0 Digital Globe
Über uns

Der Solarenergie Förderverein Deutschland e.V. (SFV) ist ein bundesweit tätiger, gemeinnütziger Umweltschutzverein mit Sitz in Aachen. Der SFV setzt sich bereits seit 1986 aus Klimaschutzgründen für die rasche und vollständige Umstellung der Energieversorgung auf Sonnen- und Windenergie ein.

Das Engagement des SFV gilt der politischen Arbeit, der öffentlichen Aufklärung und der konkreten Anlagenberatung. Es geht um umfassende, grundlegende, ökologisch vertretbare und praxisorientierte Lösungen für die Energiewende. Zahlreiche ehrenamtlich Engagierte aus Wissenschaft, Forschung, aus klein- und mittelständischen Unternehmen und Privatpersonen entwickeln Konzepte und Ideen für die Energiewende.  

Alle Informationen findet man auf unserer Homepage.
 

PIK: Energiewende hin zu Strom aus Wind und Sonne reduziert Schäden an Umwelt und Gesundheit deutlich

PIK Potsdam

Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)

 

19.11.2019

Die Stromerzeugung ist einer der größten Verursacher klimaschädlicher Treibhausgase weltweit. Um die globale Erwärmung deutlich unter 2°C zu halten, muss deswegen der Energiesektor CO2-neutral werden. Mehrere Wege führen zu diesem Ziel und jede Entscheidung hat ihre potenziellen Umweltauswirkungen – etwa Luft- und Wasserverschmutzung, veränderte Landnutzung oder Wasserbedarf. Erstmals hat jetzt ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) durch die Kombination mehrerer Systeme von Computersimulationen die Vorteile und Nachteile der drei wichtigsten Wege zur Dekarbonisierung beziffert. Das Ergebnis: Eine Energiewende hin zu Strom aus Sonne und Wind bringt die meisten Vorteile für die Gesundheit von Mensch und Planet. Stattdessen eine vorwiegend konventionelle Kraftwerkstruktur beizubehalten und dabei auf Technologien wie die Abspaltung und Speicherung von CO2 oder Biomasse umzustellen, würde erheblich zu Lasten der Umwelt gehen: Der enorme Flächenbedarf würde die Artenvielfalt bedrohen, und es würden weiterhin Schadstoffe freigesetzt.


„Wenn wir das Gesamtbild betrachten – die direkten Emissionen der Anlagen zur Stromerzeugung, den Abbau von Mineralien und Brennstoffen für Bau und Betrieb der Anlagen, bis hin zu den notwendigen Flächen für die Infrastruktur unserer Stromversorgung, so sehen wir: Es ist für Mensch und Umwelt am besten, hauptsächlich auf Windkraft und Sonnenenergie umzustellen“, erklärt Gunnar Luderer. Er ist Hauptautor der Studie und Vize-Chef des PIK-Forschungsbereichs zum Thema Transformationspfade. „Der größte Gewinner der Dekarbonisierung ist die menschliche Gesundheit. Ein Umsteuern hin zur erneuerbaren Energien könnte die negativen Auswirkungen der Stromerzeugung auf die Gesundheit um bis zu 80 Prozent reduzieren. Dies ist vor allem auf eine Verringerung der Luftverschmutzung durch das Verbrennen von Kohle und Öl zurückzuführen. Zudem sind die Lieferketten für Wind- und Solarenergie viel sauberer als der Abbau von Kohle und das Bohren nach Öl, und auch sauberer als die Erzeugung von Bioenergie. ”

 

Ein Vergleich von drei Szenarien mit zwei analytischen Brillen

 

Für ihre in Nature Communications veröffentlichte Studie verglichen die Autoren drei Szenarien zur Dekarbonisierung des Stromsektors bis 2050: Ein Szenario konzentrierte sich hauptsächlich auf Solarenergie und Windkraft, ein zweites Szenario auf die Beibehaltung einer konventionellen Kraftwerksstruktur mit Umstellung auf Abscheidung und Speicherung von CO2 und Bioenergie, und ein drittes Szenario enthielt ein gemischtes Technologieportfolio. Alle Szenarien zeigen, dass der Flächenbedarf für die Stromerzeugung steigt. Die mit Abstand am meisten Fläche verschlingende Methode zur Stromerzeugung ist naturgemäß die Bioenergie. „Pro Kilowattstunde Strom aus Bioenergie braucht man hundertmal mehr Land als für die gleiche Menge Energie aus Solarmodulen“, sagt Alexander Popp, Leiter der Arbeitsgruppe Landnutzungsmanagement am Potsdam-Institut. „Landflächen sind eine begrenzte Ressource auf unserem Planeten. Angesichts der wachsenden Weltbevölkerung mit Hunger nach mehr Nahrung und mehr Strom wird auch der Druck auf die Landnutzung und die Ernährungssysteme zunehmen. Unsere Analyse hilft, die Größenordnungen richtig einzuschätzen, wenn man von den manchmal arg hoch gelobten Technologien der Bioenergie spricht.“

 

Anhand komplexer Simulationen skizzierten die Forscher die möglichen Wege zur Dekarbonisierung der Stromversorgung und kombinierten ihre Berechnungen mit Lebenszyklusanalysen für Anlagen zur Stromerzeugung, vom Bau bis zum Betrieb. Anders Arvesen von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technologie (NTNU) sagt: „Durch die Kombination von zwei analytischen Brillen konnten wir alles betrachten, von der Luftverschmutzung bis zur Freisetzung von Toxinen, von den begrenzten Ressourcen an Mineralien, die für die Herstellung etwa von Windturbinen benötigt werden, bis hin zu den Flächen, die in Bioenergieplantagen umgewandelt werden. Diese umfassende Betrachtung ist ein sehr vielversprechender Ansatz, auch für andere Sektoren wie Gebäude oder den Verkehr.“
„Übergang von einer fossilen Rohstoffbasis zu einer Energiewirtschaft, die mehr Land und mineralische Ressourcen benötigt“

 

„Unsere Studie liefert noch mehr sehr gute Argumente für einen schnellen Übergang zu einer erneuerbaren Energieerzeugung – wir müssen uns jedoch bewusst sein, dass dies im Wesentlichen den Übergang von einer fossilen Rohstoffbasis zu einer Energiewirtschaft bedeutet, die mehr Land und mineralische Ressourcen benötigt“, erklärt Luderer. „Intelligente Energiepolitik ist der Schlüssel zur Begrenzung der negativen Auswirkungen der Stromversorgung auf andere gesellschaftliche Ziele, wie Naturschutz oder Ernährungssicherheit, und sogar auf die Geopolitik.“

PIK Grafik

Eine klimafreundliche Stromproduktion kann erhebliche positive Effekte für unsere Gesundheit haben – hauptsächlich durch die Verringerung der Luftverschmutzung.
Abbildung von Luderer et al (2019).

 

 

Artikel: Gunnar Luderer, Michaja Pehl, Anders Arvesen, Thomas Gibon, Benjamin L. Bodirsky, Harmen Sytze de Boer, Oliver Fricko, Mohamad Hejazi, Florian Humpenöder, Gokul Iyer, Silvana Mima, Ioanna Mouratiadou, Robert C. Pietzcker, Alexander Popp, Maarten van den Berg, Detlef van Vuuren, Edgar G. Hertwich  (2019): Environmental co-benefits and adverse side-effects of alternative power sector decarbonization strategies. Nature Communications [DOI: 10.1038/s41467-019-13067-8]

Weblink zum Artikel: https://www.nature.com/articles/s41467-019-13067-8

Frühere Veröffentlichung: Michaja Pehl, Anders Arvesen, Florian Humpenöder, Alexander Popp, Edgar Hertwich, Gunnar Luderer (2017): Understanding Future Emissions from Low-Carbon Power Systems by Integration of Lice Cycle Assessment and Integrated Energy Modelling. Nature Energy [DOI: 10.1038/s41560-017-0032-9] (see press release here)

Berliner Klimaprogramm: besser als erwartet, fossiler als nötig

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Pressemitteilung von Kohleausstieg Berlin zur Verabschiedung des Berliner Energie – und Klimaschutzprogramm (BEK) – 2017 bis 2021

Nachdem das Berliner Energie- und Klimaschutzprogramm im Entwurf noch eklatanten Verbesserungsbedarf aufwies, machen die beschlossenen Änderungen die Klimapolitik in der Hauptstadt konkreter und ambitionierter. Trotzdem wird der Senat bald nachlegen müssen: Spätestens nach der Fertigstellung der Machbarkeitsstudie zum Kohleausstieg, die für Anfang 2019 geplant ist, wird eine Novelle des BEK nötig werden. Darin muss die Zukunft der Berliner Fernwärmeversorgung bestimmt und der Kurs einer konsequenten Dekarbonisierung eingeschlagen werden.

„Es ist erfreulich, dass sich der Senat nun endlich zu den Anforderungen des Pariser Klimaabkommens bekennt und eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um 95% bis 2050 festschreibt. Wichtig ist auch, dass die bisherige Priorisierung  von Power to Heat für das zukünftige Berliner Energiesystem zurückgenommen wurde. Vattenfall hat bis heute nicht schlüssig dargelegt, wie die im Bau befindliche Anlage am Standort Reuter ausgelastet werden sollen. Es besteht die Gefahr, dass in Berlin nur deshalb Überschussstrom genutzt werden kann, weil Kohlekraftwerke bundesweit nicht abgeregelt werden und weiter die Netze zu verstopfen drohen. Berlin darf nicht noch abhängiger von schmutziger Braunkohle aus Brandenburg werden“, kommentiert Anna Schüler, Vertreterin von Kohleausstieg Berlin.

Das Land Berlin muss als Klimavorbild vorangehen und seine öffentlichen Gebäude effizient mit erneuerbaren Energien versorgen. „Mit dem neuen Klimaprogramm ist die Berliner Verwaltung aufgefordert, bis Ende 2018 alle Dachflächen öffentlicher Gebäude daraufhin zu überprüfen, ob sie zur Installation von Solaranlagen geeignet sind. Dies ist eine klare Verbesserung gegenüber dem ursprünglichen Zieldatum 2030. Darüber hinaus braucht es weitere Anstrengungen, um auf allen identifizierten Potenzialflächen tatsächlich auch Wind – und Solaranlagen zu installieren“, erklärt Anna Schüler weiter.

Die Zukunft der Fernwärme ist das Orakel der Berliner Energiepolitik. Für eine konsequente Dekarbonisierung der Wärmeversorgung darf der Kohleausstieg nicht durch den Bau neuer Gaskraftwerke begleitet werden. Leider geht auch die überarbeitete Fassung des BEKs immer noch von einem steigenden Gasverbrauch aus und hält an der Nutzung von Erdgas für die Fernwärmeversorgung  sogar über das Jahr 2050 hinaus fest. „Der Kohleausstieg ist auch ohne einen höheren Gasverbrauch machbar. Dafür muss die Effizienz der Berliner Fernwärme deutlich gesteigert und deren Absatz insgesamt reduziert werden. Die Schlüsselfrage ist, ob es in Berlin gelingt, energetische Sanierungen wirksam zu planen und sozial zu gestalten“, kommentiert Oliver Powalla, Ko-Vertreter von Kohleausstieg Berlin.

Er fordert zudem: „Sobald die Machbarkeitsstudie zum Kohleausstieg fertiggestellt ist, muss der Senat einen Abschaltplan für die Berliner Steinkohlekraftwerke aufstellen. Dieser sollte auch einen CO2-Grenzwert für die Fernwärme beinhalten. Berlin wird sein CO2-Budget nur einhalten, wenn die Politik gegenüber Vattenfall Emissionsstandards und damit auch fixe Endpunkte für seine veralteten Steinkohlekraftwerke gesetzlich festlegt.“