PIK: Von Tag zu Tag schwankendes Wetter bremst die Wirtschaft

Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)

09.02.2021 (Sperrfrist abgelaufen)



Wenn die Temperatur von Tag zu Tag stark schwankt, wächst die Wirtschaft weniger . Durch scheinbar kleine Veränderungen kann der Klimawandel so starke Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum haben. Das zeigen Daten, die Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der Columbia University und dem Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) analysiert haben. In einer neuen Studie in Nature Climate Change stellen sie in einem Zeitraum von 40 Jahren die beobachteten täglichen Temperaturschwankungen den Wirtschaftsdaten von mehr als 1.500 Regionen weltweit gegenüber – mit verblüffenden Ergebnissen.

„Wir wissen schon länger, dass Veränderungen der Jahresmitteltemperatur das gesamtwirtschaftliche Wachstum beeinflussen“, erklärt Erstautor Maximilian Kotz vom PIK. „Doch nun zeigen wir erstmals, dass die täglichen Temperaturschwankungen, also die kurzfristige Variabilität, einen erheblichen Einfluss hat. Pro Grad Variabilitätsänderung reduziert sich das Wirtschaftswachstum im Durchschnitt um fünf Prozentpunkte.“

Besonders betroffen: Einkommensschwache Regionen

Besonders betroffen sind die Volkswirtschaften in einkommensschwachen Regionen des globalen Südens, wie Ko-Autorin Leonie Wenz vom PIK erklärt: „Wir stellen fest, dass die Vertrautheit mit Temperaturschwankungen wichtig ist: Volkswirtschaften in Kanada oder Russland, wo die durchschnittliche monatliche Temperatur innerhalb eines Jahres um mehr als 40°C schwankt, scheinen besser darauf vorbereitet zu sein. Sie gehen mit täglichen Temperaturschwankungen besser um, als Regionen in niedrigen Breitengraden wie Teile Lateinamerikas oder Südostasiens, wo die saisonalen Temperaturunterschiede nur 3°C betragen können. Das liegt wahrscheinlich daran, dass Landwirte und Kleinunternehmer in höheren Breitengraden Widerstandskraft gegen Temperaturschwankungen aufgebaut haben.“

„Zudem schützt das Einkommen vor Verlusten“, so Wenz weiter. „Selbst bei ähnlichen Breitengraden ist die Wirtschaft in armen Regionen bei täglichen Temperaturschwankungen stärker betroffen als in reichen Regionen.“ Wenn die Tagestemperatur von den saisonalen Erwartungen abweicht, zieht das grundlegende Aspekte der Wirtschaft in Mitleidenschaft – Ernteerträge, Betriebskosten und die Gesundheit von Menschen.

Die tatsächlichen Kosten des Klimawandels

Die Forscher verglichen die tägliche Temperaturvariabilität der Jahre zwischen 1979 und 2018 mit den entsprechenden regionalen Wirtschaftsdaten und analysierten insgesamt 29.000 Einzelbeobachtungen. „Schnelle Temperaturvariabilität ist etwas ganz anderes als langfristige Veränderungen“, erklärt Co-Autor Anders Levermann vom PIK und der Columbia University, New York.

„Das eigentliche Klimaproblem ist das unerwartete Wetterchaos. Ganz einfach, weil es schwieriger ist, sich darauf einzustellen. Die Wirtschaft und auch die Landwirtschaft auf der ganzen Welt hat begonnen, sich auf den Klimawandel einzustellen. Aber was ist, wenn das Wetter einfach unberechenbarer und unvorhersehbarer wird? Wir zeigen, dass unbeständiges Wetter die Wirtschaft bremst. Politische Entscheidungsträger und die Industrie müssen dies berücksichtigen, wenn sie über die tatsächlichen Kosten des Klimawandels diskutieren.“

Artikel: Maximilian Kotz, Leonie Wenz, Annika Stechemesser, Matthias Kalkuhl, Anders Levermann (2021): Day-to-Day Temperature Variability Reduces Economic Growth. Nature Climate Change. [DOI: 10.1038/s41558-020-00985-5]

Weblink zum Artikel: https://www.nature.com/articles/s41558-020-00985-5

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PIK: Weniger Kohle wegen COVID-19: So beschleunigt die Pandemie das Ende der fossilen Stromerzeugung

Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)

08.02.2021 (Sperrfrist abgelaufen)



COVID-19 hat nicht nur zu einem vorübergehenden Rückgang der weltweiten CO2-Emissionen geführt, sondern auch den Anteil der Kohleverstromung reduziert – ein Trend, der die Pandemie sogar überdauern könnte. Das ist das zentrale Ergebnis einer neuen Studie eines Teams von Ökonomen aus Potsdam und Berlin, das die Auswirkungen von COVID-19 auf das Energiesystem und die Stromnachfrage untersucht hat. Die Studie zeigt: Die für die Menschen und Wirtschaft verheerende Pandemie hat eine besonders günstige Gelegenheit geschaffen, den gegenwärtigen Trend zum Rückgang der Kohlenutzung unumkehrbar zu machen. Unterstützt durch die richtigen klimapolitischen Maßnahmen könnten die Emissionen des Stromsektors so schneller sinken als bisher angenommen.

„Kohle ist von der Corona-Krise härter getroffen worden als andere Stromquellen – und der Grund dafür ist einfach“, erklärt Leitautor Christoph Bertram vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). „Wenn die Nachfrage nach Strom sinkt, werden in der Regel zuerst die Kohlekraftwerke abgeschaltet. Denn der Prozess der Verbrennung verursacht ständig Kosten. Die Anlagenbetreiber müssen für jede einzelne Tonne Kohle bezahlen. Erneuerbare Energien wie Wind- und Solaranlagen haben dagegen, einmal gebaut, deutlich geringere Betriebskosten – und laufen auch dann weiter, wenn die Nachfrage sinkt.“

Auf diese Weise wurden fossile Brennstoffe im Jahr 2020 teilweise aus dem Stromerzeugungsmix verdrängt und die globalen CO2-Emissionen des Stromsektors sanken um rund 7%. Betrachtet man allein Indien, die USA und die europäischen Länder, ergibt sich ein noch dramatischeres Bild: In diesen Schlüsselmärkten, in denen die monatliche Stromnachfrage im Vergleich zu 2019 um bis zu 20 Prozent zurückging, sanken die monatlichen CO2-Emissionen um bis zu 50 Prozent.

Die Forscher schätzen, dass die Emissionen ihr Allzeithoch von 2018 wahrscheinlich nicht mehr erreichen werden. „Aufgrund der anhaltenden Krise erwarten wir, dass die Stromnachfrage 2021 etwa auf dem Niveau von 2019 liegen wird, was angesichts der laufenden Investitionen in eine kohlenstoffarme Stromerzeugung eine geringere fossile Erzeugung als in diesem Jahr bedeutet“, sagt Co-Autor Gunnar Luderer vom PIK. „Solange dieses Wachstum der sauberen Stromerzeugung den Anstieg der Stromnachfrage übersteigt, werden die CO2-Emissionen des Stromsektors sinken. Nur bei einer ungewöhnlich hohen Stromnachfrage in Kombination mit einem überraschend geringen Zubau an erneuerbaren Kraftwerken in den Jahren 2022-2024 und darüber hinaus, würde die fossile Stromerzeugung wieder auf das Niveau vor der Pandemie zurückfallen.“

Während der Stromsektor sich bereits vor dem Aufkommen von COVID-19 in einen dynamischen Transformationsprozess befand, hat die Pandemie die Marktposition der Kohleverstromung geschwächt und ihre Anfälligkeit vor Augen geführt.

„Unsere Studie zeigt, dass es nicht nur ökologisch unverantwortlich, sondern auch ökonomisch sehr riskant ist, in fossile Energieträger zu investieren“, sagt Co-Autor Ottmar Edenhofer, Direktor des PIK und des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. „Am Ende wird es sicherlich eine zusätzliche CO2-Bepreisung brauchen, um die Emissionen im erforderlichen Tempo zu senken und unser Klima zu stabilisieren. Doch die Auswirkungen der Corona-Krise auf den Stromerzeugungssektor haben die politischen Entscheidungsträger in eine günstige Lage gebracht: Mit weiteren Maßnahmen wie der Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe oder der Erhöhung von Investitionen in Wind- und Solarenergie ist es nun einfacher als je zuvor, der klimaschädlichen Stromerzeugung ein Ende zu setzen.“

Artikel:
Christoph Bertram, Gunnar Luderer, Felix Creutzig, Nico Bauer, Falko Ueckerdt, Aman Malik, Ottmar Edenhofer (2021): COVID-induced low power demand and market forces starkly reduce CO2 emissions. Nature Climate Change [DOI: 10.1038/s41558-021-00987-x]

Weblink zum Artikel: https://www.nature.com/articles/s41558-021-00987-x 

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Wer wir sind:
Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) ist eines der weltweit führenden Institute in der Forschung zu globalem Wandel, Klimawirkung und nachhaltiger Entwicklung. Natur- und Sozialwissenschaftler erarbeiten hier interdisziplinäre Einsichten, welche wiederum eine robuste Grundlage für Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft darstellen. Das PIK ist ein Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft.

Meeresspiegelanstieg: Stabilitäts-Check der Antarktis offenbart enorme Risiken

Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung

23.09.2020 (Sperrfrist abgelaufen)

Je wärmer es wird, desto rascher verliert die Antarktis an Eis – und viel davon wohl für immer. Die Folgen für die weltweit an Küsten gelegenen Städte und das Kulturerbe könnten langfristig verheerend sein, von London bis Mumbai, von New York bis Shanghai. Dies hat ein Team des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, der Columbia University und der Universität Potsdam in einer jetzt in Nature als Titelgeschichte veröffentlichten Studie herausgefunden. Darin untersuchen sie die Stabilität des Antarktischen Eisschilds bei fortschreitender globaler Erwärmung. In rund einer Million Stunden Computerrechenzeit zeigen ihre beispiellos detaillierten Simulationen, wo genau und bei welcher Erwärmung der Eisschild instabil wird und große Teile schließlich schmelzen oder in den Ozean abrutschen würden. Dabei zeigt sich ein komplexes Zusammenspiel beschleunigender und moderierender Effekte. Die wichtigste Erkenntnis der Forscher ist, dass ein ungebremster Klimawandel gravierende langfristige Folgen haben wird: Bei anhaltenden Temperaturen von 4 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau könnte allein das Schmelzen in der Antarktis zu einem globalen Meeresspiegelanstieg von mehr als sechs Metern führen.

„Das Eis der Antarktis speichert mehr als die Hälfte des Süßwassers der Erde, gefroren in einer fast 5 Kilometer dicken Eisschicht“, erklärt Ricarda Winkelmann, Forscherin am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Leitautorin der Studie. „Wenn sich das umgebende Meerwasser und die Atmosphäre durch den Treibhausgas-Ausstoß des Menschen erwärmen, wird die weiße Kappe am Südpol instabil. Aufgrund ihrer schieren Größe hat die Antarktis ein erhebliches Potenzial, den Meeresspiegel weltweit langfristig anzuheben: Wir stellen fest, dass bereits bei einer anhaltenden Erwärmung von 2 Grad Celsius das Abschmelzen und der beschleunigte Eisabfluss in den Ozean letztlich zu einem Anstieg des globalen Meeresspiegels um 2,5 Meter führen würde. Bei 4 Grad beträgt er langfristig 6,5 Meter, und bei 6 Grad fast 12 Meter.“

Langfristiger Eisverlust: nicht schnell, aber für immer

Der Titel der Studie bezieht sich auf das komplexe physikalische Phänomen der Hysterese, mit dem eine Unumkehrbarkeit des Eisverlusts einhergeht. Anders Levermann, Ko-Autor und Forscher am PIK und an der Columbia-Universität: „Die Antarktis ist im Grunde unser ultimatives Erbe aus vergangenen Zeiten der Erdgeschichte. Der Kontinent ist seit mehr als 34 Millionen Jahren von Eis bedeckt. Nun zeigen unsere Simulationen, dass das Eis, wenn es einmal verloren ist, nicht wieder zurückwächst. Tatsächlich müssten die Temperaturen auf das vorindustrielle Niveau fallen, um den antarktischen Eisschild vollständig wiederherzustellen – ein höchst unwahrscheinliches Szenario. Mit anderen Worten: Was wir jetzt in der Antarktis verlieren, ist für immer verloren.“

Die Gründe für diese Unumkehrbarkeit liegen in den selbstverstärkenden Mechanismen, die bei fortschreitender Erwärmung im Eis angestoßen werden. Ko-Autor Torsten Albrecht erläutert: „In der Westantarktis zum Beispiel ist die Hauptursache für den Eisverlust warmes Ozeanwasser, das zu einem stärkeren Schmelzen unter den Schelfeismassen führt, was wiederum den auf Land aufliegenden Eisschild destabilisieren kann. Dadurch rutschen Gletscher von der Größe Floridas in den Ozean. Sobald in der globalen Mitteltemperatur eine Schwelle von sechs Grad über dem vorindustriellen Niveau erreicht wird, überwiegen das Schmelzen und damit zusammenhängende verstärkende Rückkopplungen an der Eisoberfläche: Sinkt die Eisoberfläche langsam in niedrigere Lagen, führt die wärmere Umgebungsluft zu verstärktem Schmelzen des Eises – so wie wir es bereits auf Grönland beobachten.“

Unser Handeln heute entscheidet über die Zukunft von Hamburg, Tokio, New York

Der Eisverlust und das Abschmelzen in der Antarktis haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich beschleunigt. In der Studie geht es allerdings ausdrücklich nicht um die Zeitskalen, sondern vielmehr darum, die kritischen Temperaturschwellen zu quantifizieren, bei denen Teile des antarktischen Eisschildes instabil werden. Winkelmann erläutert zu diesem Ansatz: „Letztlich ist es das Verfeuern von Kohle und Öl, das die heutigen und zukünftigen Treibhausgasmengen bestimmt – und damit auch, ob und wann kritische Temperaturwerte in der Antarktis überschritten werden. Auch wenn der Eisverlust langfristig passiert, die entsprechende Menge von CO2 in unserer Atmosphäre, die diesen Eisverlust auslöst, könnten wir schon in naher Zukunft erreichen. Unser Handeln heute entscheidet darüber, ob wir die Erwärmung stoppen. Das Schicksal der Antarktis liegt also wirklich in unseren Händen – und damit auch das unserer Städte und unseres Kulturerbes auf der ganzen Welt, von der Copacabana in Rio de Janeiro bis zum Opernhaus in Sydney. Diese Studie ist damit ein weiteres Ausrufezeichen hinter dem Pariser Klima-Abkommen: Wir müssen die globale Erwärmung unter zwei Grad halten!“

Levermann fügt hinzu: „Wenn wir das Pariser Abkommen aufgeben, geben wir Hamburg auf, und Tokio und New York.“

Artikel: Julius Garbe, Torsten Albrecht, Anders Levermann, Jonathan F. Donges, Ricarda Winkelmann (2020): The hysteresis of the Antarctic Ice Sheet. Nature [DOI:10.1038/s41586-020-2727-5]

Weblink zum Artikel nach Veröffentlichung: https://www.nature.com/articles/s41586-020-2727-5

Weblink zu animierter Grafik (Video): https://www.youtube.com/watch?v=hOQK1BUuseY

Anbei auch ein Foto von Torsten Albrecht (PIK) zur Verwendung mit Quellenangabe: Adélie-Pinguine auf einem Eisberg im Weddellmeer, Antarktis. Einen Ausschnitt davon wird Nature für die Titelgeschichte nutzen.

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Experteneinschätzung: Der Weg des geringsten Widerstands verfehlt das EU-Klimaziel

Eine Pressemitteilung des Kopernikus-Projekts Ariadne 

09.12.2020


Versteckte Risiken und Chancen zu den EU-Szenarien zum 55%-Ziel 2030

Wenn die Europäische Union ab Donnerstag über ein ehrgeizigeres EU-Klimaziel 2030 auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 entscheidet, geht es dabei um mehr als um eine bloße Willensbekundung zu größeren politischen Anstrengungen. Die Zielsetzung überformt auch die deutsche Klimapolitik. Expertinnen und Experten des Kopernikus-Projekts Ariadne zur Energiewende haben jetzt zentrale Szenarien der EU-Kommission durchleuchtet. Setzt die EU weiter auf einen bunten Mix von Instrumenten ohne klares Konzept für deren Zusammenspiel, läuft sie Gefahr, an ihren neuen Zielen zu scheitern, zeigt die Analyse.

Drei Politikpfade in Form unterschiedlicher Szenarien sieht die EU-Kommission als zielführend und hat sie zur Debatte gestellt: Die EU könnte entweder regulative Maßnahmen verstärken, insbesondere durch eine starke Intensivierung der Politiken im Erneuerbaren Energien- und Energieeffizienzbereich. Sie könnte auch die CO2-Bepreisung durch Einführung eines Emissionshandels in den Bereichen Transport und Gebäude sowie für kleinere Industrieanlagen zum zentralen Leitinstrument machen. Oder sie könnte mit dem bisherigen Politikmix voranschreiten, in dem regulative Maßnahmen verstärkt werden, während der bestehende Emissionshandel für große Energie- und Industrieanlagen um einzelne Sektoren erweitert wird oder ein zweiter, neuer Emissionshandel parallel aufgebaut wird. Jetzt haben Forschende aus dem BMBF-geförderten Kopernikus-Projekt Ariadne diese Politikpfade zum 55-Prozent-Ziel bis 2030 auf zwei entscheidende Faktoren untersucht: einerseits die kurzfristige Umsetzbarkeit und andererseits die langfristige Wahrscheinlichkeit der Zielerfüllung der Pfade. 

 „Alles auf Regulierung“ oder „Alles auf CO
2-Bepreisung“?

In dem Regulierungs-Szenario würde die EU ihre Maßnahmen bei Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien intensivieren. „Dieser Pfad kann tiefe Eingriffe in nationale Energiestrukturen bewirken. In einem solchen Fall hat die EU bei Vorbehalten der Mitgliedstaaten nicht die rechtliche Kompetenz, diese Maßnahmen zu erlassen“, erklärt die Politikwissenschaftlerin und Professorin Michèle Knodt von der TU Darmstadt, Mitglied des Ariadne-Konsortiums und Direktorin des Jean Monnet Centre of Excellence „EU in Global Dialogue“. Allerdings biete dieses Szenario eine hohe Wahrscheinlichkeit der langfristigen Zielerfüllung: „Das Regulierungs-Szenario kann als ein in sich schlüssiges Gesetzespaket durch das Leitinstrument der EU-weiten Ziel- und Maßnahmenverschärfungen im Bereich der Erneuerbaren Energien und Energieeffizienz funktionieren. Voraussetzung ist aber, dass die bisherigen Durchsetzungsmechanismen der EU-Kommission gegenüber den Mitgliedstaaten, etwa durch Sanktionsmechanismen, verschärft werden.“

In dem preisbasierten Szenario der EU-Kommission würde der CO2-Preis etwa durch einen stark ausgeweiteten Emissionshandel mit den neuen Sektoren Schifffahrt (intra-EU), Gebäude und Verkehr zum zentralen Leitinstrument. Dieser Pfad ist herausfordernd, weil die Politik und letztlich die Wirtschaft bereit sein müssen, gegebenenfalls sehr hohe CO2-Preise zu akzeptieren. „Diese Hürden ließen sich jedoch durch eine faire und sozial gerechte Ausgestaltung der CO2-Bepreisung überwinden. Gäbe es vor diesem Hintergrund in der EU die Bereitschaft für hohe CO2-Preise, überzeugt ein einheitlicher CO2-Preis über alle Mitgliedstaaten und Sektoren hinweg als schlüssiges kosteneffizientes Leitinstrument bei hoher Glaubwürdigkeit in der Zielerfüllung“, sagt der Klimaökonom und Professor Ottmar Edenhofer, Leiter des Projekts Ariadne und Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung sowie des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change.  

Zügig weiter auf dem Mittelweg? Der gewohnte Politikmix läuft Gefahr, sein Ziel zu verfehlen

„Als Mittelweg erscheint eine Veränderung des vertrauten Instrumenten-Mix als der Pfad, der kurzfristig am leichtesten in der EU durchsetzbar sein dürfte. Doch der Weg des geringsten Widerstands könnte langfristig Risiken bergen“, erläutert die Juristin und Professorin Sabine Schlacke von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Mitglied des Ariadne-Konsortiums. Ein Politikmix-Szenario funktioniere nur, wenn die sich teilweise überlappenden und unter Umständen auch gegenläufigen Instrumente und Durchsetzungsmechanismen für die Einhaltung der Ziele aufeinander abgestimmt werden. „Werden diese Inkohärenzen nicht adressiert und vorausschauend in das EU-Politikpaket eingearbeitet, bietet ein Mix am Ende nicht das Beste aus zwei Politikwelten, sondern führt im Gegenteil durch einander behindernde Maßnahmen am Klimaziel vorbei“, fasst Schlacke zusammen.

Ein glaubwürdiger Politikmix sollte deshalb nach einem klaren Regulierungsprinzip an den Klimaschutzzielen und aufeinander abgestimmten Instrumenten ausgerichtet werden, so die Einschätzung der Expertinnen und Experten des Kopernikus-Projekts Ariadne. Etwa entlang eines Leitinstruments zur Emissionsreduktion wie der CO2-Bepreisung, an dem regulatorisch flankierende Instrumente gezielt nicht erfasste Hemmnisse wie etwa den beschleunigten Ausbau der Infrastruktur adressieren. Letztlich sollte ein Politikmix auch mit einem kontinuierlichen Anpassungsmechanismus ausgestattet werden, der die Zielerfüllung regelmäßig überprüft, fortentwickelt und sich an veränderte Rahmenbedingungen anpasst, etwa durch einen unabhängigen wissenschaftlichen Beirat. Für die Reform des regulatorischen Rahmens, für die die EU Kommission im nächsten Jahr erste Vorschläge vorlegen will, sollte dies dringend berücksichtigt werden, schließen die Fachleute. Sonst könnte der gerade erst mit dem Green Deal eingeschlagene Weg bereits auf den ersten Metern scheitern.

Weitere Informationen:

Michèle Knodt, Michael Pahle, Nils aus dem Moore, Ottmar Edenhofer, Ulrich Fahl, Benjamin Görlach, Mirjam Kosch, Fabian Pause, Grischa Perino, Sabine Schlacke, Matthias Duwe, Luke Haywood, Brigitte Knopf, Miriam Köster, Thorsten Müller, Robert Pietzcker, Eva-Maria Thierjung, Maximilian Wilner (2020): Wegmarken für das EU-Klimaziel. Versteckte Risiken und Chancen der Szenarien der EU-Kommission für den Pfad zur Klimaneutralität. Ariadne-Kurzdossier.

Weblink zum Kurzdossier: https://www.pik-potsdam.de/ariadne/kurzdossier_eu-klimaziel2030
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Leitung Kommunikation Ariadne
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PIK STATEMENT zu 2020 als rekordwarmes Jahr, laut Daten von EU Copernicus

Heute hat der EU Copernicus Climate Change Service darüber informiert, dass 2020 in Europa ein rekordwarmes Jahr war – weltweit ist es so warm gewesen wie das bisherige Rekordjahr 2016.

Dazu der Erdsystemwissenschaftler Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung:

„Es geht nicht darum, dass ein Jahr rekordwarm war – es geht um den Trend der Erwärmung, angetrieben durch Treibhausgase aus fossilen Brennstoffen. Wir blicken zurück auf ein erschreckend warmes Jahrzehnt, mit einer erschreckenden Menge von Extremereignissen: Dürren in den USA, Buschbrände in Australien, die Liste ist lang. Die Wissenschaft zeigt sehr klar, dass wir unsere eigenen Lebensgrundlagen gefährden, wenn wir unseren Planeten weiter aufheizen; nie zuvor in der Geschichte der menschlichen Zivilisation hatten wir eine solche Erwärmung. Während jährliche Temperaturen schwanken können, wird der Erwärmungstrend weitergehen, wenn wir unseren Ausstoß von CO2 nicht rasch reduzieren. Wir können die Reduzierung schaffen, aber wir müssen wirklich jetzt damit anfangen.“

+++ Für weitere Informationen wenden Sie sich bitte an das PIK-Pressebüro:
Jonas Viering, Mareike Schodder, Juliane Otto, Till Wäscher
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Unterernährt, übergewichtig, vergeudet: Neue Studie zeigt Folgen der Umstellung globaler Ernährungsgewohnheiten über Jahrzehnte

Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung

18.11.2020

Nur eine Handvoll Reis und Bohnen – ein Teil unserer Welt hungert. Pizza Hawaii und Eiscreme – ein anderer Teil unserer Welt ist übersättigt. Diese Kluft wird sich voraussichtlich vergrößern, während Lebensmittelverschwendung und der Druck auf die Umwelt zunehmen: Das ist das Ergebnis der neuen Studie eines Teams des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten die Auswirkungen der Umstellung globaler Ernährungsgewohnheiten über Jahrzehnte, von spärlichen, auf Stärke basierenden Mahlzeiten hin zu tierischen Produkten und verarbeiteten Lebensmitteln; ihre Berechnungen fassen erstmals Schätzungen für Unter- und Übergewicht, Ernährungszusammensetzung und Essensabfälle zusammen. Die Ergebnisse sind alarmierend: Bis 2050 könnten mehr als 4 Milliarden Menschen – fast die Hälfte der Weltbevölkerung – übergewichtig sein, davon 1,5 Milliarden fettleibig. Gleichzeitig würden weiterhin 500 Millionen Menschen an Untergewicht leiden.

„Wenn der beobachtete Ernährungswandel weiter anhält, werden wir das Ziel der Vereinten Nationen nicht erreichen, den Hunger weltweit zu besiegen”, erklärt Benjamin Bodirsky vom PIK, Hauptautor der in Scientific Reports veröffentlichten Studie. „Gleichzeitig wird unsere Zukunft von Übergewicht und Fettleibigkeit in einem extremen Ausmaß geprägt sein“, so Bodirsky. Bis 2050 könnten 45 Prozent der Weltbevölkerung übergewichtig und davon 16 Prozent fettleibig sein – im Vergleich zu etwa 29 und 9 Prozent im Jahr 2010. Diese Entwicklung ist auf die unzureichende globale Verteilung von Nahrungsmitteln zurückzuführen sowie auf die Verlagerung der Ernährung von pflanzlicher, wenig verarbeiteter Kost hin zu unausgewogenen, hochverarbeiteten Speisen; Vollkornprodukte und Hülsenfrüchte werden durch tierisches Eiweiß, Zucker und Fett verdrängt.

Und das ist noch nicht alles, wie Bodirsky betont: „Die zunehmende Verschwendung von Nahrungsmitteln und der steigende Konsum von tierischem Eiweiß führen dazu, dass wir die Umweltfolgen unseres Agrarsystems nicht mehr beherrschen können. Ob Treibhausgase, Stickstoffverschmutzung oder Entwaldung: Wir gehen an die Belastungsgrenzen unseres Planeten – und darüber hinaus.“

Agrarsystem als wesentlicher Faktor für Treibhausgasemissionen

Acker- und Weideland für die Nahrungsmittelerzeugung bedecken rund ein Drittel der globalen Landfläche; unser Ernährungssystem verursacht fast ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen. Die neue Studie zeigt, dass – wenn die derzeitigen Trends anhalten – die weltweite Nachfrage nach Nahrungsmitteln zwischen 2010 und 2050 um etwa 50 Prozent steigen wird, und die Nachfrage nach tierischen Produkten wie Fleisch und Milch wird sich ungefähr verdoppeln – eine Entwicklung, die immer mehr Land erfordern würde.

„Mit der gleichen Landfläche könnten wir aber viel mehr pflanzliche Nahrungsmittel für den Menschen produzieren als tierische“, erklärt Ko-Autor Alexander Popp, Leiter der Forschungsgruppe Landnutzungsmanagement am PIK. „Einfach gesagt: Wenn immer mehr Menschen immer mehr Fleisch essen, gibt es weniger pflanzliche Nahrung für die anderen – und wir brauchen mehr Land für die Nahrungsmittelproduktion, was dazu führen kann, dass Wälder abgeholzt werden. Die vermehrte Tierhaltung erhöht in der Folge den Ausstoß von Treibhausgasen.“

Globale Nahrungsmittelnachfrage: Verteilung und Bildung als Kernprobleme

Die Studie bietet erstmalig einen konsistenten Langzeitüberblick über einen anhaltenden globalen Ernährungswandel von 1965 bis 2100. Unter Verwendung eines Open-Source-Modells prognostizieren die Forschenden, wie viel des Nahrungsmittelbedarfs auf Faktoren wie Bevölkerungswachstum, Alterungsprozesse, zunehmende Körpergröße, wachsenden Body-Mass-Index, abnehmende körperliche Aktivität und zunehmende Nahrungsmittelabfälle zurückzuführen ist.

Ko-Autor Prajal Pradhan vom PIK erklärt: „Es gibt genug Nahrung auf der Welt – das Problem ist, dass die armen Menschen auf unserem Planeten sich diese nicht leisten können. Und in den reichen Ländern spüren die Menschen die wirtschaftlichen und ökologischen Folgen der Verschwendung von Nahrungsmitteln nicht.“ Aber Umverteilung allein würde nicht ausreichen, denn sowohl ärmere als auch reichere Bevölkerungsschichten ernähren sich mangelhaft – es fehlt an Wissen über eine gesunde Lebens- und Ernährungsweise.

Wie weckt man Appetit auf Veränderung?

„Ungesunde Ernährung ist das weltweit größte Gesundheitsrisiko“, erklärt Ko-Autorin Sabine Gabrysch, Leiterin der Forschungsabteilung Klimaresilienz am PIK. „Viele Länder in Asien und Afrika kämpfen derzeit noch mit Unterernährung und den damit verbundenen Gesundheitsproblemen. Gleichzeitig sind sie zunehmend auch mit Übergewicht und in der Folge mit einer steigenden Belastung durch Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs konfrontiert“, so Gabrysch. Die neue Studie biete hier wertvolle Orientierung über den möglichen Entwicklungspfad verschiedener Länder und Regionen. Sie könne auch die dringend benötigte proaktive Politik hin zu einer nachhaltigen und gesunden Ernährung befördern.

„Wir brauchen dringend politische Maßnahmen, um eine Ernährungsumgebung zu schaffen, die gesundes Essverhalten fördert”, erklärt Gabrysch. „Dazu könnten verbindliche Vorschriften gehören, welche die Werbung für ungesunde Snacks regulieren sowie nachhaltige und gesunde Mahlzeiten in Schulen, Krankenhäusern und Kantinen sicherstellen. Eine stärkere Konzentration auf Ernährungsbildung ist ebenfalls wichtig, von der Früherziehung im Kindergarten bis zur Beratung durch Ärzte und Krankenschwestern. Was wir essen ist von entscheidender Bedeutung – sowohl für unsere eigene Gesundheit als auch für die unseres Planeten.“

Artikel: Benjamin Leon Bodirsky, Jan Philipp Dietrich, Eleonora Martinelli, Antonia Stenstad, Prajal Pradhan, Sabine Gabrysch, Abhijeet Mishra, Isabelle Weindl, Chantal Le Mouël, Susanne Rolinski, Lavinia Baumstark, Xiaoxi Wang, Jillian L. Waid, Hermann Lotze‐Campen, Alexander Popp (2020): The ongoing nutrition transition thwarts long-term targets for food security, public health and environmental protection. Scientific Reports. [DOI: 10.1038/s41598-020-75213-3]

Weblink zum Artikel:www.nature.com/articles/s41598-020-75213-3

PIK STATEMENT zum neuen EU Klimaziel und fünften Jubiläum des Pariser Abkommens

Heute hat der Europäische Rat das Ziel verabschiedet, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken. Am 12. Dezember jährt sich zum fünften Mal die Verabschiedung des historischen Pariser Klimaabkommens durch Vertreter von mehr als 196 Staaten und der EU auf dem UN-Klimagipfel COP21.

Dazu der Erdsystemwissenschaftler Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung:

„Die Wissenschaft ist eindeutig, die Welt muss bis zum Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen erreichen, um die in Paris vereinbarte Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2°C schaffen zu können. Die EU ist weltweit führend in Sachen Klimaschutz. Dass sie sich im kommenden Klimagesetz dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen, ist positiv und wird sicherlich Länder und Akteure auf der ganzen Welt beeinflussen, die entweder bereits ähnliche Schritte unternommen haben – wie China, Japan und bald auch die USA – oder die dies noch tun müssen. Das Versprechen der EU, bis 2050 kohlenstoffneutral zu sein, erfordert große transformative Veränderungen, wobei die Gesamtemissionen um etwa sechs Prozent pro Jahr reduziert werden müssen. Dies wird große Innovationen, Verhaltensänderungen und die Umstrukturierung von Sektoren und Lieferketten erfordern. Angesichts zunehmender Belege dafür, dass eine kohlenstofffreie Entwicklung der Wirtschaft, Arbeitsplätzen, der Gesundheit und Widerstandsfähigkeit zugutekommt, besteht die Möglichkeit, dass die EU ihre eigenen Zusagen übertreffen wird. Dies wird sehr wahrscheinlich notwendig sein.“

Dazu der Wirtschaftswissenschaftler Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung:

„Die Europäische Union handelt nicht allein, sondern im Einklang mit dem, was kürzlich auch die USA und China angekündigt haben. Wenn sie alle ihren Zusagen treu bleiben, und wenn andere folgen, haben wir erstmals eine Chance, die Klimaziele des Pariser Abkommens tatsächlich zu erreichen. Aber das ist ein großes ‚Wenn‘. Das Pariser Abkommen hat ganz klar noch nicht ausreichend bedeutsame national festgelegte Beiträge zur Klimastabilisierung bewirkt. Aber die Wissenschaft hat eine Reihe von möglichen Pfaden aufgezeigt. Europa, China und die USA müssen nun ihre Kräfte bündeln, indem sie CO2-Bepreisungssysteme koordinieren und an Bedingungen geknüpfte Finanztransfers an ärmere Länder einleiten, um den globalen Übergang zur Nachhaltigkeit zu ermöglichen. Das wird zugegebenermaßen ein Marathon. Genau darum sollten wir aufhören, auf Zehenspitzen herumzutrippeln – und loslaufen.“

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Experteneinschätzung zum 55% Ziel bis 2030: Expertinnen und Experten des Kopernikus-Projekts Ariadne zur Energiewende haben jetzt zentrale Szenarien der EU-Kommission durchleuchtet.


CO2-Bepreisung und Finanztransfers:Kleine Änderungen können große Wirkung haben für mehr Klimagerechtigkeit

PIK: Klimaschäden für unsere Wirtschaft: Studie zeigt höhere Kosten als erwartet

Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung

19.08.2020

Steigende Temperaturen durch den Ausstoß von Treibhausgasen können unserer Wirtschaft größeren Schaden zufügen als frühere Untersuchungen vermuten ließen – das zeigt eine neue Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) und des Mercator Research Institute for Global Commons and Climate Change (MCC). Die Wissenschaftler haben auf der Grundlage eines in dieser Form erstmals entwickelten Datensatzes des MCC genauer untersucht, wie sich der Klimawandel auf Gebiete wie etwa US-Bundesstaaten, chinesische Provinzen oder französische Départements auswirkt, also unterhalb der nationalstaatlichen Ebene. Wenn die CO2-Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe nicht umgehend reduziert werden, kann eine globale Erwärmung um 4°C bis 2100 dazu führen, dass diese Regionen im Durchschnitt fast 10% ihrer Wirtschaftsleistung verlieren, und in den Tropen sogar mehr als 20%.

„Klimaschäden treffen unsere Unternehmen und Arbeitsplätze, nicht nur Eisbären und Korallenriffe“, sagt Leonie Wenz vom PIK, eine der beiden Autoren der Studie. „Steigende Temperaturen machen uns weniger produktiv, was insbesondere für draußen arbeitende Menschen in der Bauindustrie oder der Landwirtschaft relevant ist. Sie betreffen unsere Ernten und bedeuten zusätzliche Belastungen und damit Kosten für unsere Infrastruktur, weil zum Beispiel Rechenzentren gekühlt werden müssen. Durch die statistische Auswertung von Klima- und Wirtschaftsdaten der letzten Jahrzehnte haben wir festgestellt, dass die aggregierten wirtschaftlichen Schäden durch steigende Temperaturen sogar noch größer sind als zuvor geschätzt. Wir haben dabei die Auswirkungen auf regionaler Ebene untersucht, die ein vollständigeres Bild ergeben als die nationalen Durchschnittswerte.“

Schäden durch Wetterextreme kämen noch hinzu

Frühere Forschungsarbeiten legten nahe, dass ein 1°C heißeres Jahr die Wirtschaftsleistung um etwa 1% reduziert. Die neue Analyse deutet auf Produktionsverluste hin, die in warmen Regionen bis zu dreimal so hoch sind. Indem die Forscher diese Zahlen als Maßstab für die Berechnung künftiger Schäden durch weitere Treibhausgasemissionen verwenden, stellen sie erhebliche wirtschaftliche Verluste fest: 10% im globalen Durchschnitt und mehr als 20% in den Tropen bis 2100.  Dies ist immer noch eine konservative Einschätzung:  Die Studie berücksichtigt nicht die erhebliche Schäden, die beispielsweise durch extreme Wetterereignisse und den Anstieg des Meeresspiegels entstehen, da sie für einzelne Regionen oft schwer zu bestimmen sind.

Ermöglicht wurden diese neuen Erkenntnisse durch das Erstellen eines neuartigen MCC-Datensatzes von Klima und Wirtschaft für 1500 Regionen in 77 Staaten der Welt, dessen Daten für einige Regionen bis zu rund hundert Jahre zurückreichen. Die Datenerfassung ist für Industrieländer am Besten, insbesondere für weite Teile Afrikas fehlen jedoch entsprechende wirtschaftliche Informationen.  Die Berechnungen belegen einen erheblichen Einfluss auf die Wirtschaftsproduktion, aber nicht so sehr einen Einfluss auf das dauerhafte Wirtschaftswachstum. Das könnte ein Grund zur Hoffnung sein, wenn die Emissionen reduziert werden. Wichtig ist, dass die Schäden sehr unterschiedlich in der Welt verteilt sind, wobei tropische und bereits arme Regionen am meisten unter der anhaltenden Erwärmung leiden, während ein paar Länder im Norden sogar davon profitieren könnten.

Die wirtschaftlichen Kosten jeder Tonne CO2-Emissionen: 70-140 US-Dollar

Die Ergebnisse haben beträchtliche Folgen für die Klimapolitik, speziell für die CO2-Preisgestaltung.  „Wenn man das weit verbreitete Klima-Wirtschafts-Modell DICE des Nobelpreisträgers William Nordhaus mit den statistischen Schätzungen aus unseren Daten aktualisiert, sind die Kosten jeder Tonne Kohlenstoff, die an die Gesellschaft abgegeben wird, zwei- bis viermal höher“, betont der Leitautor der Studie, Matthias Kalkuhl vom MCC. „Laut unserer Studie wird jede Tonne CO2, die im Jahr 2020 emittiert wird, einen wirtschaftlichen Schaden verursachen, der bei den Preisen von 2010 zu Kosten zwischen 73 und 142 Dollar führt, anstelle der vom DICE Modell angezeigten 37 Dollar. Bis 2030 werden die sogenannten sozialen Kosten von Kohlenstoff aufgrund steigender Temperaturen bereits um fast 30 Prozent höher sein.“

Zum Vergleich: Der Kohlenstoffpreis im europäischen Emissionshandel schwankt derzeit zwischen 20 und 30 Euro pro Tonne; der nationale Kohlenstoffpreis in Deutschland steigt von 25 Euro im nächsten Jahr auf 55 Euro im Jahr 2025. Diese aktuellen Kohlenstoffpreise spiegeln also nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Klimaschäden wider. Nach dem Verursacherprinzip müssten sie deutlich nach oben angepasst werden.

Artikel: Kalkuhl, M., Wenz, L. (2020): The Impact of Climate Conditions on Economic Production. Evidence from a Global Panel of Regions. Journal of Environmental Economics and Management [DOI:10.1016/j.jeem.2020.102360]

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Klima-Szenarien nutzbar machen: Online-Plattform für Entscheider startet

Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung

03.06.2020

PIK Potsdam

Damit Klimaszenarien für Entscheider nutzbar werden, hat ein internationales Forscherteam eine umfassende interaktive Online-Plattform entwickelt. Sie ist die erste ihrer Art, die Werkzeuge zur Nutzung dieser Szenarien – von Klimafolgen bis hin zur Klimastabilisierung – einer breiteren Öffentlichkeit jenseits der Wissenschaft zur Verfügung stellt. Die Szenarien helfen Entscheidern in Politik und Unternehmen, Finanzmärkten und Gesellschaft, die Bedrohung durch die globale Erwärmung und Möglichkeiten zu ihrer Begrenzung besser einzuschätzen.

„Klimaszenarien sind mächtige Werkzeuge, die es uns ermöglichen, mögliche Zukünfte zu erforschen und zu untersuchen, wie diese durch unser gemeinsames Handeln verändert werden – deshalb wollen wir alle Arten von Entscheidern in die Lage versetzen, die Szenarien auch tatsächlich selbst zu nutzen“, sagt Elmar Kriegler vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der das SENSES-Konsortium leitet, welches die Online-Plattform gemeinsam entwickelt hat. „Die Wissenschaft verwendet seit vielen Jahren Klimaszenarien auf der Grundlage von Computersimulationen, doch die sind zugegebenermaßen eine etwas komplizierte Sache, und die Ergebnisse der Analysen sind in allzu vielen wissenschaftlichen Publikationen verstreut. Wir wollen nun einen neuen Weg des Zugangs zu diesen Szenarien anbieten – damit die Menschen selbst sehen können, was bei der Klimastabilisierung auf dem Spiel steht, und ihre Entscheidungen auf die besten verfügbaren Informationen stützen können.“

Von 2°C bis zum Kohleausstieg, von Sonnenenergie bis Biomasse: jede Menge Möglichkeiten

Ein Finanzexperte, der zum Beispiel das Risiko von verlorenen Investitionen in fossile Industrien bewerten möchte, könnte sich dafür interessieren, wie schnell die globalen Treibhausgasemissionen reduziert werden müssen, um die Erwärmung unter der international vereinbarten Grenze von 1,5-2°C zu halten. Der Benutzer kann sich das Lernmodul zur „Emissionslücke“ auf der SENSES-Plattform ansehen, das grundlegende Informationen sowie Grafiken und Weblinks zur Literatur enthält.

Für mehr Einzelheiten kann der Benutzer ein, wie die Forscher es nennen, „Guided Exploration Module“ (GEM) nutzen. „Die GEMs bieten gleichsam eine weiche Landung in den harten Daten und ermöglichen es den Benutzern, selbst Szenarien zu analysieren“, erklärt die Projektkoordinatorin Cornelia Auer, ebenfalls vom PIK. „Sie können robuste Trends verstehen, wie etwa den Ausstieg aus der Kohle oder die Umstellung der Stromerzeugung auf klimaneutrale Technologien, aber auch Variationen in den Szenarien, wie zum Beispiel die Entscheidung für unterschiedliche Technologien – etwa das Herausholen von CO2 aus der Atmosphäre.“

Für diejenigen, die noch tiefer einsteigen möchten, gibt es einen „Scenario Finder“. Benutzer können durch eine große Anzahl von Szenarien blättern, die sie nach ihren eigenen Annahmen über die Zukunft filtern können. Diejenigen, die der Auffassung sind, dass die Entfernung von Kohlenstoff aus der Atmosphäre in der Zukunft wahrscheinlich nicht funktionieren wird, können Szenarien mit einer geringeren Menge an Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS) aussortieren. Und diejenigen, die einen niedrigen Energieverbrauch und ein Szenario weit unter 2°C wünschen, können nach diesen Merkmalen filtern.

„Abschätzung potenzieller Risiken für das Finanzsystem“

Philipp Haenle, Ökonom in der Abteilung Finanzstabilität der Deutschen Bundesbank, kommentiert: „Klima-Risiken für die Finanzmärkte erhalten immer mehr Aufmerksamkeit. Klimaszenarien können helfen, diese Risiken besser zu verstehen. Für einen Finanz-Ökonomen ist es jedoch eine sehr komplexe Aufgabe, sich mit den von Naturwissenschaftlern entworfenen Szenarien vertraut zu machen und sie für Finanzanalysen zu nutzen. SENSES ist daher ein sehr zukunftsträchtiges Werkzeug, da es helfen kann, die zugrundeliegenden Klimaszenarien zu verstehen und sie für die Beurteilung möglicher Risiken für das Finanzsystem zu nutzen. Die Plattform bietet dabei auch Unterstützung für die Entscheidung, welche Szenarien für spezifische Fragestellungen am besten geeignet sind.“ Haenle war am Co-Design der SENSES-Plattform durch Wissenschaft und Entscheider aus anderen Bereichen beteiligt (die Stellungnahme stellt eine persönliche Meinung dar und gibt nicht unbedingt die Ansichten der Deutschen Bundesbank oder ihrer Mitarbeiter wieder).

Die Plattform ist für die Nutzung durch Entscheider und Experten konzipiert, ist aber für alle Interessierten frei zugänglich. „Es geht hier wirklich um offene Wissenschaft“, sagt Kriegler. „Lösungen zur Bewältigung der Klimaproblematik zu finden, ist etwas, das wir nur gemeinsam tun können. Es ist ein Prozess, der viele verschiedene Stimmen und Perspektiven einbeziehen muss. Ein wichtiges Element dabei ist, dass Akteure in die Lage versetzt werden, Klimaszenarien aus der Wissenschaft zu nutzen.“ Es ist eine neue Form von Klima-Services.

„Wir bieten den Nutzern eine Menge Wenn-Dann. Das mag ein bisschen mühsam erscheinen, aber es ist das, was wir für notwendig halten“, so Kriegler abschließend. „Die Grundidee von Klimaszenarien ist, dass es mehr als ein Ziel gibt, und dass es viele Wege zu diesen Zielen gibt. Die Wahl zwischen den Optionen hängt von den Präferenzen ab. Doch Entscheidungen sind nicht willkürlich, man muss sich der Konsequenzen bewusst sein. Wissenschaftlich fundierte Szenarien liefern diese Art relevanter Informationen über die Risiken.“

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Das SENSES-Projekt (climate change ScENario ServicES) ist Teil des offiziellen Europäischen Forschungsraums für Klimadienstleistungen, der von nationalen Ministerien und der EU unterstützt wird. Es ist ein Gemeinschaftsprojekt des PIK, der Fachhochschule Potsdam, des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA), der Universität Wageningen (WUR) und des Umweltinstituts Stockholm (SEI):

Volker Krey, Vize-Direktor des Energieprogramms am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), ein Hauptpartner des Projekts: „Das SENSES-Projekt war eine neue Erfahrung für uns und hat die Kommunikation von Erkenntnissen aus der Szenarienforschung zum Klimawandel und die Bereitstellung damit verbundener Dienstleistungen auf eine neue Ebene gehoben. Das Konsortium vereint ein breites Spektrum an Fachwissen von der Klimawandelforschung bis hin zu partizipativen Prozessen und Design, was ein Schlüsselelement für die Entwicklung des SENSES-Toolkits war. Am IIASA konzentrierten wir uns darauf, wissenschaftliche Erkenntnisse über die Eindämmung des Klimawandels und den Datenzugang über die Infrastruktur des Scenario Explorers bereit zu stellen.“

Boris Müller vom Urban Complexity Lab der Fachhochschule Potsdam, ein weiterer wichtiger Partner: „Während des gesamten SENSES-Projekts haben wir eng mit Interessenvertretern aus Politik, Wirtschaft oder Finanzwelt zusammengearbeitet – wir haben eine Reihe von Co-Design-Workshops durchgeführt, die uns geholfen haben, die Nachfrage nach Klimawandel-Szenarien in den jeweiligen Bereichen zu verstehen. Dieser Prozess hat es uns ermöglicht, ein modulares und nutzerzentriertes Designkonzept für das SENSES-Toolkit zu erstellen. Die Verwendung von Datenvisualisierungen, die abstrakte Datensätze in aufschlussreiche Bilder verwandeln, ist eine wesentlicher Ansatz, um den Anforderungen unserer Stakeholder gerecht zu werden.“

Henrik Carlsen, Senior Research Fellow, Stockholm Environment Institute (SEI), ein Hauptpartner von SENSES: „Szenarien des Klimawandels können auf verschiedenen geographischen Ebenen – global, regional und lokal – als entscheidungsunterstützende Instrumente eingesetzt werden. Je weiter man die Ebene hinuntergeht, desto mehr rücken Klimafolgen und Anpassung in den Mittelpunkt. Der Hauptbeitrag des SEI zum SENSES-Projekt bestand darin, Wissen und Kapazitäten aufzubauen, wie solche regionalen und lokalen Szenarien zusammen mit Interessenvertretern in partizipativen Prozessen konstruiert werden können. Wir haben uns darauf konzentriert, Szenarien über geografische Skalen hinweg zu verknüpfen, so dass regionale und lokale Prozesse globale Szenarien als ‚Randbedingungen‘ plausibler Zukünfte nutzen können, sowohl im Hinblick auf den Klimawandel, aber ebenso auch im Hinblick auf den sozioökonomischen Wandel.“

Kasper Kok, Simona Pedde und Lotte de Jong von der Universität Wageningen, wichtige Partner des Projekts: „Wir haben eng mit Interessenvertretern der Overijsselse Vecht mit Interviews und interaktiven Workshops zusammengearbeitet, um ihr Wissen und ihre Bedarfe mit wissenschaftlichen Erkenntnissen aus globalen Szenarien und Techniken zur Visualisierung von Szenarien zu verknüpfen. Unsere regionale Expertise im Konsortium ergänzt die globalen Szenarioteams. Zusammen mit dem SEI haben wir eine innovative Art und Weise zur Übersetzung globaler Klimaszenarien für regionale Nutzer entwickelt, zu denen regionale politische Entscheidungsträger, Wasserbehörden, Landschaftsplaner mit Anpassungsstrategien gehörten. Aspekte, mit denen wir uns beschäftigt haben: Wie können wir mit szenarioabhängigen Ereignissen mit hohen Auswirkungen, so genannten „Wildcards“, umgehen? Wie können Minderungsszenarien kurz- und langfristig in lokale Anpassungspläne einfließen? Die wichtigsten Bestandteile sind Produkte in Form einer Datenbank sowie Leitlinien zur Entwicklung von Szenarien für ein breites Spektrum von politischen Entscheidern, Planern, Wissenschaftlern und anderen Praktikern, die an der Entwicklung und Nutzung von Szenarien interessiert sind.“

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Weblink zur SENSES-Plattform: https://www.climatescenarios.org/

Weblink zur Website des SENSES-Projekts: http://senses-project.org/

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Kontakt für weitere Informationen:
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Globaler Kohleausstieg: Nutzen überwiegt Kosten

Pressemitteilung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung

23.03.2020

PIK Potsdam

Mit mehr als einem Drittel der weltweiten Emissionen ist die Kohleverbrennung nicht nur die wichtigste Einzelquelle von CO2, sondern beeinträchtigt auch in erheblichem Maß die öffentliche Gesundheit und die biologische Vielfalt. Trotzdem ist der weltweite Ausstieg aus der Kohleverbrennung nach wie vor eines der dicksten politischen Bretter. Stichhaltige ökonomische Argumente, warum sich der Aufwand lohnt, liefern jetzt neue Computersimulationen eines internationalen Forscherteams: Erstens zeigen sie, dass die Welt nicht unter der 2-Grad-Grenze bleiben kann, wenn wir weiterhin Kohle verbrennen. Zweitens überwiegen die Vorteile eines Ausstiegs aus der Kohleverbrennung die Kosten dafür deutlich. Drittens greifen die positiven Effekte eines Ausstiegs zumeist unmittelbar und direkt vor Ort – was die Umsetzung politisch attraktiv macht.

„Wir befinden uns im 21. Jahrhundert und hängen noch immer stark von der Verbrennung von Kohle ab – das macht sie zu einer der größten Bedrohungen für unser Klima, unsere Gesundheit und die Umwelt. Deshalb haben wir beschlossen, die Argumente für einen weltweiten Ausstieg aus der Kohleverbrennung umfassend zu prüfen: Rechnet sich der Ausstieg? Die kurze Antwort lautet: Ja, bei weitem“, sagt Leitautor Sebastian Rauner vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Für ihre Computersimulationen betrachteten die Forscher nicht nur die Stromerzeugung, sondern alle Energiesektoren, einschließlich Verkehr, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft.

„Wir stellen fest, dass die Menschheit auf der Grundlage der derzeitigen Klimaverpflichtungen aller Länder im Rahmen des Pariser Abkommens bisher nicht auf dem Weg ist, die globale Erwärmung unter 2 Grad zu halten. Wenn jedoch alle Länder den Kohleausstieg einleiten würden, kämen wir dem Ziel weltweit um 50 Prozent näher. Für kohleintensive Volkswirtschaften wie China und Indien würde ein Ausstieg aus der Kohle die Lücke bis 2030 sogar um 80-90 Prozent schließen.“

Die Forscher entwickelten eine Computersimulation, die die Auswirkungen des Kohleausstiegs besonders umfassend beleuchtet. So bezieht sie nicht nur die Auswirkungen der Kohleverstromung selbst vom Förderschacht bis zum Kraftwerksschlot ein, sondern untersucht auch, wie sich der Kohleausstieg auf die verbleibenden Energieträger und das Energiesystem als Ganzes auswirken würde. Neu ist, dass erstmals auch die Schäden an Mensch und Umwelt, die Kohleverbrennung verursacht, in Geld ausgedrückt und so mit den Kosten für den Klimaschutz vergleichbar werden: „Insbesondere haben wir zwei Arten von Umweltkosten betrachtet: Die Kosten für die menschliche Gesundheit, maßgeblich verursacht durch Atemwegserkrankungen, und den Verlust an biologischer Vielfalt, gemessen an den Kosten für die Renaturierung derzeit bewirtschafteter Flächen. Die Kosten des Klimaschutz wiederum bestehen hauptsächlich aus einem möglicherweise verringerten Wirtschaftswachstum und zusätzlichen Investitionen in das Energiesystem.“

Kohleausstieg: global ein netto Einsparungseffekt 

„Die Kosteneinsparungen durch verringerte Schäden an Gesundheit und Ökosystemen überkompensieren die direkten wirtschaftlichen Kosten eines Ausstiegs aus der Kohleverstromung deutlich. Im Jahr 2050 sehen wir eine netto Ersparnis von etwa 1,5 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung – das sind 370 Dollar für jeden Menschen auf der Erde“, erklärt Gunnar Luderer, Leiter der Energieforschungsgruppe am PIK und Professor für Globale Energiesystemanalyse an der Technischen Universität Berlin. „Dieser Effekt stellt sich schon mittelfristig ein. Insbesondere in Indien und China könnte den Großteil dieser Vorteile bereits 2030 spürbar werden, erklärt Luderer.

China und Indien decken einen Großteil ihrer Energienachfrage mit Kohle, beide leiden unter massiver Luftverschmutzung, die durch die hohe Bevölkerungsdichte noch verstärkt wird. Auch das hohe Bevölkerungswachstums in Indien und die zunehmend gefährdete alternde Bevölkerung Chinas spielen hier hinein. Genau wegen dieser Faktoren würden die Menschen hier die positiven Auswirkungen eines Kohleausstiegs fast unmittelbar in ihrem täglichen Leben spüren, so die Forscher. „Das hat sehr bedeutende politische Auswirkungen: Für die Bürgerinnen und Bürger einer indischen oder chinesischen Millionenmetropole macht es einen großen Unterschied, welche Luft sie atmen, und für die Bauern, wie intakt die Ökosysteme sind. Diese Vorteile sind direkt und vor Ort spürbar“, sagt Sebastian Rauner. „Es gibt also einen doppelten Anreiz für die politischen Entscheidungsträger: Erstens ist es nicht unwahrscheinlich, dass der Ausstieg aus der Kohleförderung die Unterstützung der Bevölkerung und schließlich Wahlen gewinnen kann. Zweitens: Es lohnt sich für Staaten, aus der Kohle auszusteigen, auch wenn Nachbarländer das nicht tun.“

Kohleausstieg als Chance 

„Der Ausstieg aus der Kohle könnte daher ein Weg aus der so genannten ,Tragödie der globalen Gemeingüter‘ sein“, fügt Nico Bauer, Mitautor und ebenfalls am PIK, hinzu: „Der Ausstieg aus der Kohle hilft bei der globalen Klimaherausforderung und bei der Linderung der lokalen Umweltverschmutzung. Regierungen sollten in internationalen Klimaverhandlungen den Kohleausstieg als eine günstige Möglichkeit erkennen, die globalen Treibhausgasemissionen erheblich zu reduzieren und gleichzeitig im eigenen Land enorme Vorteile zu erzielen. Unsere Studie zeigt, dass nationale und globale Interessen nicht notwendigerweise Gegensätze sind, sondern Hand in Hand gehen können.“

Vor dem Hintergrund der anstehenden Aktualisierung der national festgelegten Beiträge des Pariser Abkommens (der so genannten nationally determined contributions, NDCs) kommentiert Co-Autor Gunnar Luderer: „Unsere Studie unterstreicht die Vorteile eines globalen Kohleausstiegs – zum Wohle unseres Planeten und unserer Gesundheit. Doch wichtig ist: Der Ausstieg aus der Kohle muss durch weitere ehrgeizige klimapolitische Maßnahmen flankiert werden, um einen „lock-in“ bei anderen fossilen Brennstoffen wie Öl oder Erdgas zu vermeiden.“

Artikel: Sebastian Rauner, Nico Bauer, Alois Dirnaichner, Rita Van Dingenen, Chris Mutel, Gunnar Luderer (2020): Coal exit health and environmental damage reductions outweigh economic impacts. Nature Climate Change [DOI: 10.1038/s41558-020-0728-x]

Weblink zum Artikel: https://www.nature.com/articles/s41558-020-0728-x

Frühere Forschungen des PIK zum Thema:

  • Gunnar Luderer, Michaja Pehl, Anders Arvesen, Thomas Gibon, Benjamin L. Bodirsky, Harmen Sytze de Boer, Oliver Fricko, Mohamad Hejazi, Florian Humpenöder, Gokul Iyer, Silvana Mima, Ioanna Mouratiadou, Robert C. Pietzcker, Alexander Popp, Maarten van den Berg, Detlef van Vuuren, Edgar G. Hertwich  (2019): Environmental co-benefits and adverse side-effects of alternative power sector decarbonization strategies. Nature Communications [DOI: 10.1038/s41467-019-13067-8], unsere Pressemitteilung dazu hier
  • Michaja Pehl, Anders Arvesen, Florian Humpenöder, Alexander Popp, Edgar Hertwich, Gunnar Luderer (2017): Understanding Future Emissions from Low-Carbon Power Systems by Integration of Lice Cycle Assessment and Integrated Energy Modelling. Nature Energy [DOI: 10.1038/s41560-017-0032-9]

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